Psychotherapie bei Long Covid

Für viele Menschen bestimmen anhaltende, scheinbar chronische Krankheitssymptome auch nach der Genesung von einer Infektion mit SARS-CoV-2 den Alltag.

Diese Erkrankungen sind noch wenig erforscht und verstanden. Herkömmliche Behandlungsformen greifen häufig nicht. Dies kann sehr zermürbend sein. Gefühle wie Enttäuschung, Verzweiflung, Ärger oder Hilflosigkeit verstärken zudem Stress sowie innere Anspannung und begünstigen dadurch das Auftreten psychischer Erkrankungen.

Typische psychische Beschwerden nach einer COVID-Infektion können u.a. sein:
  • Müdigkeit und Abgeschlagenheit
  • Schlafstörungen
  • Erschöpfung und verminderte Leistungsfähigkeit
  • Posttraumatische Belastungsstörung
  • Konzentrations- und Gedächtnisstörungen
  • Schmerzen, Gefühlsstörungen
  • Atemprobleme
  • Depression
  • Ängste
  • Gedächtnisschwierigkeiten
  • Schlafstörungen

Long-Covid Betroffene haben einen ganz hohen Leidensdruck, aber auch lange eine hohe Leidensfähigkeit. Nach einer gewissen Zeit werden viele aber psychisch auffällig. Das ist ja klar: Wenn man nicht mehr im gewohnten Maße am Leben teilnehmen kann, dann ist man irgendwann auch fertig mit den Nerven. Aber das sollte man bitte nicht verwechseln: Sie sind dann meist somatopsychisch erkrankt, nicht psychosomatisch.

Auch durch die systematische Erfassung der durch die WHO definierten Post-COVID Symptomatik wird die Heterogenität und Unspezifität der Symptomcluster deutlich.

Insbesondere das enge Zusammenspiel zwischen somatischen Beschwerden und psychischen Belastungen sticht heraus.

Unter somatopsychischen Störungen werden seelische Belastungsstörungen in Reaktion auf schwere und/oder chronische körperliche Erkrankungen verstanden.

Betroffene leiden häufig unter typischen stressassoziierten Symptomen: Müdigkeit, Erschöpfung, Schlafstörungen, muskuläre Verspannung, Rücken- oder Gliederschmerzen, Beklemmungsgefühle, Atemnot, Schwindel, Benommenheit, Unwirklichkeitsgefühle, Kopfschmerzen, Übelkeit und Verdauungsstörung.

Diese stressassoziierten Symptome sind Folge einer Überlastung aufgrund der körperlichen Erkrankung. Typischerweise finden sich Probleme mit der emotionalen Verarbeitung der Erkrankung und der Verunsicherung hinsichtlich der sozialen Rolle (Beziehung in der Familie, Freunde und im Arbeitsleben).

Psychotherapie kann hier den Betroffenen helfen, die körperliche Erkrankung besser zu bewältigen und in ihr Leben zu integrieren. Weiters steht die Reduktion von stressassoziierten Symptomen und der Umgang mit belastenden Emotionen im Mittelpunkt des therapeutischen Prozesses.

In der Einzeltherapie geht es darum, eine spürbare Symptomverbesserung vor dem Hintergrund der individuellen Persönlichkeitsfaktoren zu erzielen, indem auf die individuelle Krankengeschichte bzw. die Ressourcen zur Krankheitsbewältigung eingegangen wird.

Psychotherapie kann die Symptome lindern. Heilen können wir leider niemanden. Daher braucht es ein enges Zusammenspiel mit niedergelassenen Ärzt*innen.

Zu Beginn jeder Therapie steht ein umfassendes orientierendes Erstgespräch. Dabei werden die bisherigen Abklärungs- und Behandlungserfahrungen kurz zusammengefasst.

Im Zentrum stehen allerdings die aktuelle Situation, die gegenwärtigen Beschwerden, die Ressourcen und Stärken und die konkreten Veränderungswünsche der Klient*innen.

Darauf aufbauend werden gemeinsam Therapieziele formuliert.

Je nach Therapieziel werden im Erstgespräch auch weitere therapeutische Maßnahmen und mögliche ärztliche/medizinische Unterstützungs- und Abklärungsmöglichkeiten besprochen. Ziel der psychotherapeutischen Begleitung ist die bestmögliche, maßgeschneiderte Unterstützung in der bestehenden Alltagsstruktur und/oder im beruflichen Wiedereinstieg. 

Gerade bei Long Covid können auch online-Therapien eingesetzt werden oder verkürzte Therapieeinheiten sinnvoll sein. Dies wird individuell und je nach Situation gemeinsam entschieden.

Wie geht man mit psychischen Beeinträchtigungen neben oder infolge dieser Erkrankung psychotherapeutisch um?


Es lässt sich pointiert ausdrücken, dass ein Ziel der psychotherapeutischen Arbeit mit Long Covid Betroffenen darin besteht, bei fehlenden effektiven Behandlungsoptionen eine Verschlechterung des Zustands der Long Covid-Patient*innen zu verhindern. Dies beinhaltet das Entwickeln der Fähigkeit, die täglichen Aktivitäten und Anforderungen so zu regulieren, dass die persönlichen Ressourcen nicht überstrapaziert werden und es nicht zu PEM/Crashes kommt.

Dieses Vorgehen wird als Pacing bezeichnet und erfordert eine komplexe Fähigkeit zur Körperwahrnehmung, zur Antizipation der Konsequenzen der eigenen Handlungen, zur Selbstbeschränkung und zur Disziplin.

Viele Betroffene empfinden diese notwendige Reduktion ihrer Bedürfnisse und Ansprüche als besonders belastend, da sie oft auf vieles verzichten müssen, was für gesunde Menschen in ihrem Lebensalter normal und erfüllend ist.

Diese Einschränkungen können zu tiefgehender Verzweiflung und sogar zu suizidalen Krisen führen, was die Bewältigung dieser Gefühle zu einem zentralen Thema in der psychotherapeutischen Behandlung macht.